Hofderer erzählen!

 

 

 

In diesem Haus wurde Hans Halter geboren! Nun erzählt er einige seiner Geschichten.


Scherrerhansens Schlitten

Man schrieb das 4. Zunftjahr. Im Horner 1956 war es saukalt und nach einem viel zu warmen Jänner, kehrte es anfangs Februar. Der Schnee fiel in rauen Mengen und das Thermometer zeigte mehr als minus 20 Grad an. Dem entsprechend kalt gestaltete sich die Tagwache. Für uns Buben,- weibliche Wesen waren auch damals, «Persona non grata»,- war» Kübeln» an der Tagwache, Ehrensache. Erstens war man dabei und zweitens wurde schon lange vor der Fasnacht plagiert, wie viele Berliner man ergattern möchte. Die Berliner wurden von Franz Wey, Martinivater 1961, spendiert. Ganz Verwegene sprachen von über 20 erheischten Berlinern. Wohl bekomms.

Der Vizezunftmeister Charly hatte diesem Morgen ein grosses Problem. Er sollte nämlich dem Martinivater, also seinem leiblichen Vater Ferdy, die Kutsche besorgen. Nun der Schnee lag viel zu hoch, aus dem Kutschenfahren wurde nichts. Hartneckig wie Charly schon damals war, suchte eine andere Lösung. Ein Pferdeschlitten musste her. Auch vor vierzig Jahren schon war das heikle Sache. Nach langen Raten und Werweissen wurde man fündig.

«Der Schererhans hat noch einen solchen Schlitten» warf einer in die Runde. Guten Mutes begab sich Charly auf den Weg.

Hans Scherer wohnte zusammen mit seinen Geschwistern unten am Bahndamm. Dass die Aufgabe, die Charly sich aufbürdete nicht einfach war, erahnen alljene die den Scherer Hans noch kannten. Ein vifer Junggeselle, mit allen Wassern gewaschen, war er immer für Ueberraschungen gut. Er stellte den Lehrsatz auf, dass der einte keine Frau besässe und der an dere, eine Böse. (Klammer geschlossen)

Auf jeden Fall, Charly wurde zur Audienz gebeten und durfte sein Anliegen vorbringen. «So, so, du brauchst unseren Schlitten» witzelte Schererhans und strich schelmisch über sein rundliches Gesicht. Zudem liesse sich ein so wichtiges Geschäft nicht einfach furztrocken abwickeln. Hans liess sich von der Schwester Regina eine Flasche Grünbitter bringen. Auf Charly wartete eine sehr schwierige Aufgabe. Er brauchte unbedingt einen Schlitten und Schererhans seinerseits war gewiegt möglichst viel einzuschenken. Aus Datenschutzgründen darf an dieser Stelle über Anzahl Stiefelchen nicht berichtet werden ...

 

Buebe hei, esch sächsi!

 

Diese Aufforderung gehörte zum regulären Ablauf in der «alten Badi». Die Bademeisterin, Frau Gautschi, hatte die Trillerpfeife bereits angesetzt und so wurde allabendlich der Badibesuch beendet, ausser die Eltern oder ein älteres Geschwister konnte für einen längeren Aufenthalt bürgen.

 

Ordnung musste sein, die Sache wurde voll akzeptiert. Überhaupt war das Baden streng gegliedert. Links die männlichen, rechts die weiblichen Badegäste. Der Verwaltungstrakt und die folgenden Kabinen bildeten die Demarkationslinie. Der See lächelt und ladet ein zum freien Schwimmen, sozusagen geschlechtsneutral. Apropos anatomischer Weiterbildung: Es fanden natürlich viele Pappenheimer die Kabinen mit den richtig positionierten Astlöchern. Der Blick ins Reich der Sinne war gegeben.

 

Brauiross

 

Vor nicht allzu langer Zeit bediente die Brauerei Hochdorf die ortsansässigen Wirtschaften und die Privatkunden mit ihrem gern gesehenen Pferdegespann. Zu meiner Jugendzeit war Herr Plüss der Kutscher. Die Tranksame der Brauerei schätzte man im ganzen Dorf und auch Recyclingprodukte der Pferde waren sehr willkommen.

 

Herr Plüss musste sich jetzt beeilen, weil eines seiner Pferde noch einen Ausritt zugut hatte. Ein sanfter Knall mit der Peitsche und das Gespann trabte Richtung Braui. Nach dem Entladen des Leergutes wird abgehalfert, Kummet, Geschirr und «s’Mösch» fein säuberlich im Nebenraum verstaut. Die Pferde erhalten jetzt die verdiente Fourrage und der Boden wird eingestreut.

 

Feierabend gab es erst für eines der beiden Pferde. Der Seniorchef Julius Wyss geruhte nämlich mit dem «Braunen » den Abendaustritt vorzunehmen. Elegant bestieg er das Pferd, im leichten Trab ging es Richtung Dessenhölzli. Nach gut einer Stunde hiess es dann stallwärts. Das Pferd wird ordonnanzgemäss gepflegt und das Reitzeug versorgt. Der ganze Ablauf ist ein Ritual, immer nach dem selben Muster durchgeführt.

 

Sie erinnern sich, die Streu lag bereits am Boden. Unerlaubtes Wasserlassen seitens des Pferdes war unschicklich. Herr Wyss hatte eine geniale Idee. Mittels eines Kübels, dem Pferd auf richtiger Höhe untergestellt, und einem wasserlösenden Pfiff entleerte das fromme Pferd seine pralle Blase. Die Übung war ein voller Erfolg; das Stroh blieb trocken und das Pferd konnte gelöst einschlafen.

 

Diese Aktion hatten der «Schueni» und ich mehrmals mitverfolgt. Pfeifen konnten wir schliesslich auch. Je nach Tagesform erhielt der «Braune» noch eine Ration Hafer. Herr Wyss musste den Hafer im Nebenraum beschaffen. Wir warteten den richtigen Moment ab, pfiffen und siehe da, es funktionierte.

 

Der Pfiff erlöste das Tier – wohlverstanden ohne den Kübel – die Sauerei war perfekt. Als Julius Wyss die Bescherung sah, brüllte er ungehalten das Pferd an:

"Du huere Löffu, hesch ne chönne warte!"

Das Pferd verstand die Welt nicht mehr.

 


Abchratze

Als Doktor der Medizin, Hans Meyer, seine Villa neu anmalen liess, musste Seppi Brun verschiedene Farbmuster an der Hauswand anbringen. Man wollte eine passende Farbe auswählen, und das nicht nur einfach so nach dem kleinen Farbkatalog. Ob man das chöint? Fragte der Doktor.

"Jojo, das chamer scho, das wo ned passt tömmer nochhär eifach abchratze."

Das forderte den Arzt zur etwas anzüglichen Bemerkung heraus:

"Ehr Moler händs au guet, wenn ehr em Fau e Seich ablönd, so chönders hiderdrii eifach weder abchratze."

Der Seppi strich mit den Finger durch sein Bärtchen, fasste mit leicht schrägem Kopf den Doktor scharf ins Auge und erwiderte gelassen:

"Jo secher, aber wenn ehr Dökter im Fau e Seich ablönd, so muess leider Gottes der ander abchratze!"

 

Franz Wey, 30.03.1922 - 18.05.1991. Die Texte (jeweils etwas gekürzt) stellte seine Tochter zur Verfügung.

Feuerrot

In einer klaren Sommer- oder Herbstnacht hing einst der Mond glutrot über der Erlosenhöhe, so ungefähr bei Römerswil. Ein Frühaufsteher, der die Augen noch nicht ausgerieben hatte, oder Spätheimkehrer, der nicht mehr gut sah, deutete diese Röte als gewaltige Feuersbrunst, polterte ans Chresoschte Haustür:

"Der Saffeeri solle sofort die Sturmglocke läuten und die Feuerwehr alarmieren."

Der schlaftrunkene Saffeeri behändigte in aller Eile den schweren Schlüsselbund, rannte und stolperte keuchend die Kirchentreppe hinauf, traf nach einigem Stochern "baudäne" das Schlüsselloch und hing sich schwergewichtig an das Seil der grössten, 6575 Pfund wiegenden Glocke. Das nervöse Geläute schreckte die Feuerwehrler aus dem Schlaf. Ohne lang herumzuschauen, stürzten sie sich in die Uniformen, stülpten als Krönung den glänzenden Messinghelm auf die wirren Locken und rannten schweratmend zum "Sprötzehüsli". Das stand damals in unmittelbarer Nähe von Mareis Zuhause. Heraus mit der Spritze und im Laufschritt Richtung Schmitte. Die Marei, unterdessen auch auf die Strasse geeilt, erfasste die Lage blitzartig, stemmte die Fäuste in die Hüften und schrie den aufgeregten Feuerwehrmannen nach:

"Ehr Huerecheibenaffe s esch jo nor de Moon!"

 

 

D'Schletzi

Da gab es auf der Westseite der Seetalbahnlinie, ungefähr gegenüber der Station Hochdorf, ein Restaurant mit dem offiziellen Namen Restaurant Bahnhof. Ein unscheinbares Gebäude mit zwei mächtigen Kastanienbäumen, die das Wirtshausschild zur belaubten Zeit vollständig zudeckten. Ein Grund dafür, dass sich nur wenige Hofderer des richtigen Namens bewusst waren, man also in der Schletzi sein Bier trank und vom vornehmen Namen Bahnhof Abstand nahm. Der damalige Wirt, in den 1920 bis 3Oer Jahren, war ein, wie wir sagen dieblanger Mann so gegen 1.90 m, schnauzbärtig, leicht xbeinig und ziemlich handfest. Gutmütig zwar, aber leicht erregbar. Wenn es in seiner Wirtsstube gesittet zu- und herging, ein fröhlicher, geselliger Kumpan, der die ganze Hofderer-Prominenz zu seinen Freunden zählte.

Die Schletzi war ein Lokal, wo alle und jeder gleich welcher Färbung oder gesellschaftlicher Stellung ein- und ausging, vom Knecht zum Fabrikarbeiter, vom Handwerker bis zu den ganz obenstehenden Direktoren. So kam es halt öppedie dazu, dass ein Gast, der über den Durst getrunken hatte, sich nicht mehr ganz Commentmässig verhielt, am Tische schlief oder randalierte, den andern Gästen durch sein Palaver oder seine ungeschulte Gesangsstimme lästig wurde, kurz, nicht mehr erwünscht war.

In eines Wirtes Pflichtenheft gehört schliesslich auch die Sorge für Ruhe und Ordnung und anständiges Benehmeh. Wenn die gutgemeinten Ermahnungen nichts fruchten wollten und die Geduld des Wirtes der Erschöpfung erlag, stand er, meist nach einem tiefen Schluck und noch tieferen Atemzügen gemächlich auf, packte den Unbotmässigen mit der Linken am Kragen, mit der Rechten in der Gegend des Hosefüdlis und er wurde wie weiland Filucius durch der Beine Muskelkraft wirbelartig fortgeschafft. Die zu diesem Zwecke weit geöffnete Tür warf er dann unmutig und mit einem heftigen Schwung ins Schloss. Und da wir diesem Vorgang schletzen sagen, war es gar nicht abwegig, dass, zuerst allerdings nur seine nächsten Freunde, ihn den Schletzer nannten. Des Schletzers Wirtshaus wurde schliesslich zur Schletzi.

Die Schletzi» musste weichen, weil die Südi (SMG Hochdorf) Parkplatze benötigte, und sie so oder so nicht mehr ganz zeitgemass eingerichtet war. Die Schletzi natürlich. Mit ihr verschwand ein Stück alt Hofdere, das mir in meiner Bubenzeit als ein grosses Stück Welt vorgekommen war.

 

 

Links im Bild die Schletzi mit dem langen Schild

Früher war Eligius Halter, ein naher Verwandter von Peter Halter Wirt auf der Schletzi.

Er kaufte Ende 1884 die Wirtschaft ab von Anton Fessler, dazu noch ein Stück Land für eine Kegelbahn.

Nach seinem plötzlichen Tod 1892 ersteigerte Michael Wollenmann die Wirtschaft.

 

Eine Sitzbank der Beiz ist zu sehen

im Hochdorfer Museum

 

 

 

 

 

 

Eligius Halter mit seiner Frau

Marie Halter - Bossart

und Kinder

Josepha und Marie

 

Die Rosegasse

 

Ein Haus oder eine Häuserreihe hat ja bekanntlich eine schönere und gepflegte Frontseite und eine Rückseite. In Hochdorf war die Front zur Dorf- resp. zur Hauptstrasse hin. Und hinten waren noch Mitte 19. Jahrhundert ein Kräutergarten, ein Scheunchen mit Abtritt oder ein Schweinestall mit Abtritt. Die Einwohner verrichteten also ihr "Geschäft" ausser Haus. In den Kaufverträgen steht nichts über Güllenlöcher noch über die Reinigung solcher. Dort müsste es doch ab und zu sehr unangenehm gerochen haben. Deshalb wurde diese Gasse nicht nur vermutlich (Entschuldigung) Scheiss- oder Schissigasse genannt.

 

und Franz Wey schrieb:

 

Zu unserer Kinderzeit konnte man die Rosengasse dorab noch schlitteln. Das Stägeli bis Mederlete wurde zur Schanze ausgebaut und aufs Schneiders Stutzen Hinterplatz musste man brüsk abdrehen, weil man sonst in Baumgartner Franzens Haustüre hineingerasst wäre.

 

Die Gasse wurde von vielen, mit dem Dorf eng verbundenen Leuten, auch, und man darf das nicht als Bösartigkeit auffassen, Jompferegasse genannt. Weil halt bis Bachmannes und bis Moffe und bis Mederlete und bis Baumgartners immerhin mehr als ein Dutzend Jungfrauen wohnten, von den Weissnäherinnen Weingartner und von Mederlets gutem Geist Coelestine abgesehen.

 

De Geschpli, d΄Geschpu, s΄Ranggifödli, de Zabli, de Zwaschpli

 

Zu unserer Oinderzeit war das in der Rosengasse das Tante Anni. Während das Tante Luwisi fleissig nähte, das Tante Carlii uns Kinder spazieren führte, geschplete das Tante Anni in der Rosengasse herum und war mit seiner durchdringenden Geipschi-Stimme bis in die Backstube zu hören.

 

sCarlii i de Rosegass

 

Sie war von allen Kindern heissgeliebt, s΄Tante Carlii, Caroline stand wohl im Taufregister. Das Carli hatte vier Schwestern, von denen die eine der Jompfereschaft entsagte, eine andere Klosterfrau wurde. Die restlichen beiden lebte lebte  es in Eintracht und Harmonie ein glücklisches leben. Alle drei waren Näherinnen und ihre Stube war so wie ich mich erinnere, immer voller Stoffballen, Stoffresten und Büetzlig.

 

Das Haupt der Dreien war s΄Tante Luisi. Es war korpulent im Gegensatz zu  zum Anni, das klein und schmächtig war, aber lautstark in der Rosengasse herumgeisterte wie ein aufgescheuchtes Huhn. Seine Stimme war dementsprechend gackernd und kreischig und jede Neuigkeit wurde in Wiederholungen verkündet.

 

Wenn s΄Tante Carlii aus dem Hause trat, so hängten wir Kinder uns an, wie Beeren am Traubenstiel.

 

 

Wohee gömmer?

 

Dann hagelte es an Vorschlägen:

 

Weertlewaud, Dessehöulzli, gägem Chöubli, is Auguschthouz, gage Fäudgrau ond of Houwu oder  Nommu, öppe of Äbersou, det gets eso gueti Öpfu.

 

Eigentlich war  uns egal, wohin man zog, wichtig war, dass das Carlii Zöckerli, so schön harte Guetzli oder Pompernössli in seiner tiefen Tasche vergraben hatte.

 

Oft gings  auch zu einer Bauernfamilie, für deren Frauen und Töchter die Schwestern nähten, und das vorwiegend zur Zeit, wenn es neuen Most gab. Für diesen Genuss wären wir kilometerweit marschiert, denn langweilig wurde es ohnedies nie. Es erzählte alte Geschichten, wusste, warum da oder dort ein Höugestöckli stand, wie d΄Sträggele gehaust und das Heeremöli-Gschpeischt die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzt habe. Das brachte Spannung und Aufregung.

 

Schwäne im Teich


 

Ein Glanzstück leistete sich der Spassvogel nach einem feuchtfröhlichen Kegelschub.

Der Ottiger Jakob (links) von der Mosterei klagte, dass seine junge Ehe bis jetzt kinderlos geblieben sei, wo er sich doch für sein florierendes Unternehmen dringend einen Nachfolger gewünscht hätte.

Auf dem Heimweg nun kamen die Kegelbrüder am Dorfweiher vorbei (zwischen der Metzgerei Marfurt und der Villa Dr. Meyer). Im Teich tummelte sich zur Zeit immer ein Schwanenpaar, das jedes Jahr so kleine, graue mollige Schwänlein ausbrütete. Für uns Kinder jeweils ein Grund, von zu Hause aus -

 


zureissen, nur, zom no gschwend die chline Schwändli go luege.

In der Mitte stand ein aus Tuffstein errichteter Springbrunnen, den der Bucher Fritz in seiner Funktion als Strassenmeister mehr oder weniger hoch spritzen lassen konnte.

Der Theodor, der Uhrenmacher (rechts) nun also, von den Klagen des Jakob tief gerührt, beschloss, der Frau Ottiger den von ihr so heiss herbeigewünschten Storch eigenhändig ins Bett zu legen. Kurz entschlossen stieg er über den Drahtzaun, schlang den langen Hals des Vogels um seinen rechten Arm und los gings ins Hegauschlösschen an der Ballwilerstrasse. Der Jakob wohlgelaunt den Scherz mitmachend, öffnete Haus- und Stöblitöör, und schon thronte der Schwan alias Storch auf der schneeweissen Bettdecke der zu Tode erschrockenen Frau Ottiger. Er bringe ihr den Storch, verkündete der Vogelfänger.

"Jesses, Theodor, was Tüüfus chonnter au z΄Senn?"

Das Gelächter der Begleitmannschaft brauche ich wohl kaum zu beschreiben.

 


 

Abrahams Marie

Aus der nächsten Nähe habe ich die Marie nur zweimal gesehen. Das erste Mal ging ich in die vierte Klasse und durfte mit ein paar grösseren Buben beim Klausjagen mitmachen. Gesichter und Hände hatten wir mit Russ verbrämt und um die Bäuche Kuhschellen geschnallt. Mit schwarzen Lumpen und schwarzen Zipfelmützen hatten wir uns als SchmutzIi hergerichtet, fuchtelten mit Ruten um uns und sahen aus wie die baren Teufel. Kamen uns auf der Dorfstrasse Leute entgegen, so gingen wir, dämonische, unartikulierte Laute ausstossend auf sie zu, umtanzten sie mit abgehackten Bewegungen und wilden Gebärden, und wenn sie nicht die nötige Angst an den Tag legten, halfen wir nach und versuchten ihre Gesichter zu schwärzen.

Die meisten meiner Kameraden hatten sich schon auf den Heimweg gemacht und die ängstlichen oder kichernden Stimmen der grossen Mädchen und jungen Frauen, die als Zuschauer und freiwillige Opfer paarweise Arm in Arm durch die Strassen bummelten, waren verstummt. Da sahen wir auf einmal die alte Marie in ihren weiten Röcken. Wie ein Phantom kam sie auf uns zu. Sie winkte uns, und wir verstummten.

"Kommt", sagte sie, "kommt Buben, ihr bekommt was zu trinken!"

Verlegen blieben wir stehen und schauten einander unschlüssig an; der teuflische Übermut war wie weggeblasen.

"He, kommt ihr oder kommt ihr nicht?

Wenn ihr nicht kommen wollt, so bleibt draussen und friert euch die Hände ab!"

 

Da raunte uns unser Anführer, der grosse Gottlieb, zu: "Los, wir gehen mit ihr." Wir verschwanden einer nach dem andern in dem kleinen Häuschen und stapften die schmale, quicksende Treppe hinauf. Die Alte hiess uns Platz nehmen. Da sassen wir nun im fahlen Licht der Petrollampe und sahen uns ängstlich um. Es hatte den Anschein, als ob eine Hexe den Beelzebub mit drei Teufeln zu sich geladen hätte. Sie holte eine Flasche vom Gestell und füllte einem jeden ein ganzes gerilltes Schnapsgläschen mit Trester, stellte es vor uns hin und goss sich dann ein Mostglas bis zur Mitte voll.

Dabei war sie ganz ernst, lachte nie und tat Überhaupt alles mit der grössten Selbstverständlichkeit.

"Trinkt", sagte sie, "das tut gut wenn es so kalt ist!"

Der Schnapsgeruch schwamm ätzend durch das kleine Stübchen. Sie hob mit der dürren Hand das Glas und prostete uns zu, dann sagte sie und lächelte zum ersten Mal:

"In einem Zug hinunter damit, sonst brennt's!"

 

Nur Gottlieb leerte sein Gläschen in einem Zug, wir andern kamen nur bis zur Hälfte, husteten und krümmten uns und griffen uns an den Hals. Jetzt lachte sie laut auf und mit Tränen in den kleinen Augen sagte sie: "lhr werdet mir einmal schöne Männer, wenn ihr nicht mal trinken könnt... Ios!" und wir leerten den Rest. Wirklich, es brannte schon viel weniger. Nach einer Weile fingen auch wir zu lachen an, schupsten uns gegenseitig und schauten die alte Marie fast verehrend an. lhr zusammengeschrumpftes Gesicht mit dem zahnlosen Mund, aus dem beim Lachen, genau wie bei einer Altjungfernmaske zwei gelbliche Zahnstummel hervor ragten und die Strähnen, die unordentlich die welke Stirne umrahmten, sah ich mir genau an. Hätte ich, den Wilhelm Tell oder die Königin von Saba unverhofft aus nächster Nähe betrachten können, es hätte mich nicht stärker beeindruckt. Kichernd goss sie uns ein zweites Mal die Gläschen voll, und die tranken wir nun in einem Zug.

Unvermittelt stand sie auf, klatschte in die Hände und befahl:

"Genug! Fort mit euch ihr Teufelsgesindel! Los! Ab! Fort!"

Während sich alles um uns drehte und wir nur mit Mühe den Rückweg über die dunkle, schmale Treppe antraten, polterte dröhnend eine Kuhschelle, die Stufen hinunter, kicherte die Marie und sagte:

"Brave Buben seid ihr, richtige Buben seid ihr!"

Dann flüsterte sie noch, indem sie den gestreckten Zeigefinger über den Mund legte:

"Pscht, still... seid mäuschenstill ihr Buben!"

und schloss die Tür hinter uns zu.

 

Gusti Frey, * 24. November 1912 in Hochdorf; † 4. August 1998